Wisst Ihr wo die Parteien sind, wo sind sie geblieben?

Wisst Ihr wo die Parteien sind, wo sind sie geblieben?

29.09.2016 :: René H. Bartl
Kurz vor der Pensionierung blicke ich immer wieder selbstkritisch zurück auf mein Leben. Habe ich etwas Gutes getan? Etwas Sinnvolles für die Nachkommen? Hat es sich gelohnt zu leben, sich zu engagieren?

Ich denke ja! Nicht nur Gutes, aber doch einiges Gutes. Meine grösste Enttäuschung? Ich wurde nicht immer dort gehört, wo ich gehört werden wollte! Meine Botschaften konnte ich nicht immer wirkungsvoll anbringen. Vielleicht war ich manchmal zu schrill, zu kritisch oder zu ehrlich und direkt. Ich habe meine Projekte auch der Öffentlichkeit mitgeteilt. In den Wandelhallen der Parlamente, persönlich an PolitikerInnen und schriftlich an die Parteizentralen. Hatte ich ein schlechtes Verkaufskonzept? Kein gutes Marketing? Vielleicht ja, ich hatte keine Lobby und keine Lobbyisten. Ich hatte den Ehrgeiz als Mensch gehört zu werden, nicht als Lieferant von für eine Wahl wirksamen Argumenten, die dann nach den Wahlen wieder im Nirgendwo verschwinden, sondern nachhaltig wirksam. Und ich hatte gute Angebote!

Ich bin ein parteiloser, eher linker, aber konsensorientierter Staatsbürger, der sich nicht Parteiparolen unterwerfen kann und will, die dazu dienen die eigene Position stur zu vertreten. Ich bin ein Mensch, der sich mit den Anliegen aller Menschen, jeder Couleur von links bis rechts, auseinander setzt und nach umsetzbaren pragmatischen Lösungen sucht. Darum habe ich den Schritt aus der Wirtschaft in die soziale Arbeit gewagt. Darum bin ich Sozialpädagoge mit Leib und Seele.

Als Autor des wohl meistbesuchten Flüchtlingsprojektes – Parcour „Hilfe, ich bin ein Flüchtling“ habe ich 1991, in der Zeit der grossen 700 Jahr-Feier der Eidgenossenschaft, versucht einer breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich mit der Situation der Flüchtlinge dieser Zeit möglichst real auseinanderzusetzen. Mein Credo war „Sinn macht auch in dieser Thematik ein „Gastrechtprinzip“. Ein an Leib, Leben und Freiheit gefährdeter Mensch sollte ein Gastrecht erhalten, dies aber nicht gesetzeswidrig ausnützen dürfen. Wer etwas erhält, soll auch etwas dafür zurückgeben. Unter denselben bedingungen, wie wir alle bereit wären einen Menschen bei uns aufzunehmen, der unserer Hilfe bedarf. Ca. 12'000 Personen in der ganzen Schweiz (Schulen und Gemeinden) haben an diesem Projekt teilgenommen. Eine Teilnahme dauerte ca. zwei Stunden. Aktuelle Flüchtlinge waren an Posten als Schweizer Beamte miteinbezogen, Teilnehmende waren als Flüchtlinge unterwegs. Unzählige schriftliche und mündliche Reaktionen waren Zeugen von grosser persönlicher Anteilnahme und Betroffenheit. Es war ein sehr erfolgreiches Projekt. Zeitungen in allen besuchten Regionen und Kantonen schrieben darüber, es gab unzählige Radiosendungen und das Fernsehen war wiederholt dabei. Etwa CHF 500'000.00 habe ich, zusammen mit einer Mitarbeiterin, investiert und ca. CHF 180'000.00 wieder „eingespielt. Die damalige Schweizerische Flüchtlingshilfe war nicht bereit, dieses Projekt, gegen eine Entschädigung für erbrachte Leistungen, zu übernehmen. PolitikerInnen und Parteien zeigten nur dort Interessen, wo sie öffentlich auftreten und sich kurzfristig profilieren konnten. Parteien neutralisieren sich offensichtlich lieber gegenseitig und können im Nachhinein behaupten, dass ihnen dieses Thema immer wichtig gewesen sei.

Als der Leiter vom damaligen „Kindersorgentelefon“ in Aeffligen (BE) sich der Justiz stellen musste, habe ich einen Verein gegründet, um mit den Vorstandsmitgliedern und fachkundigen MitarbeiterInnen den Jugendlichen ihre Anlaufstelle in Notsituationen zu erhalten. Zuerst arbeiteten wir in den ursprünglichen Räumlichkeiten in Aeffligen und später in eigens zu diesem Zweck gemieteten und eingerichteten Räumlichkeiten. Die Anzahl der Anrufenden war überwältigend. Die Fragen vielfältig. Es gab auch sogenannte Scherzanfragen, diese taxierten wir als „Einstiegsversuche“. Es gab damals einen Boom von interessierten bestehenden Organisationen, die in vielen Sitzungen ihren Anspruch an diesem medienwirksamen Projekt sichern wollten. Am aggressivsten war Frau Ruth Rutmann von der Pro Juventute. Sie wollte dieses Projekt unbedingt an sich reissen. Anlässlich eines Gespräches in ihrer Zentrale in Zürich, wollte sie mich, in Anwesenheit eines Mitarbeiters und eines Juristen, Mundtod machen. Unter Androhung von massiven Konsequenzen hätte ich, als Präsident und als Privatperson, einen Verzicht auf Aussagen in der Öffentlichkeit unterzeichnen sollen. Ich habe es nicht getan und nie bereut. Die Pro Juventute hat erreicht, dass wir in den Konkurs gingen und diese Aufgabe an die „Dargebotene Hand“ abgetreten (?!). PolitikerInnen und Parteien sorgen sich (verbal) um das Wohl der kommenden Generation, sie haben sich diesem Thema nie ernsthaft angenommen.

2003 habe ich eine Stiftung und damit die «WG-Guggisberg 77B» gegründet. Der Grund für mein Engagement lag wiederum in einer Notlage. Das Bundesgericht hatte (ca.) 2001 den dreimonatigen Ausschluss von Kindern und Jugendlichen aus dem Schulunterricht für rechtsgültig erklärt. Mein Nachfragen bei zuständigen Stellen und PolitikerInnen ergab, dass es damals weder ein Konzept, noch ein Projekt und schon gar kein Geld zur Finanzierung von unterstützenden Massnahmen gab (Brief vom damaligen Regierungsrat Herrn Annoni).

Als freiberuflich tätiger Supervisor, Organisationsberater und Coach (vor allem von Krisensituationen und mit div. Lernaufträgen) schloss ich mein 1998 in Guggisberg eröffnetes Tagungs- und Schulungszentrum und baute es in eine Institution um, die Jugendliche aufnahm, welche aus Familien, Schulen, Heimen, Kliniken, etc. ausgeschlossen wurde (www.77B.ch).

Als Unternehmer im Sozialbereich wollte ich beweisen, dass eine Institution finanziell günstigen und effizienter geführt werden kann, als wenn sie subventionsabhängig den Weg durch die Unendlichkeit der Administration und die Abhängigkeit ihrer Geldgeber gehen muss. Wie ich es im Erstberuf als Möbel- und Bauschreiner und später als Verkaufsberater für sieben Fabriken im Innenausbau in jungen Jahren gelernt hatte, wollte ich mit einem qualitativ hochstehendem, nachhaltig wirksamen Angebot überzeugend wirken. Wie immer war ich mir den Beweis schuldig, dass man auch im Sozialbereich mit unkonventionellen Konzepten bestehen kann. Meine Institution hat es geschafft. Die Erfolge beweisen es. Ca. 85% aller Jugendlichen treten in eine geordnete Situation aus. Alternative zu unserer Institution waren im Vorfeld geschlossene Institutionen oder auch das Gefängnis.

Die Hauptursache zum Erfolg liegt vor allem darin, dass wir mit wenigen (10) allgemeingültigen Regeln arbeiten. Bei allen Jugendlichen (Mädchen und Knaben) berücksichtigen wir ihre individuelle Situation, ihre besonderen Eignungen und Anlagen. Sie erhalten quasi einen Massanzug in den Bereichen Wohnen, Schule, Hauswirtschaft und Arbeitsprojekt. Dank ihrer engen Begleitung durch eine persönliche Bezugsperson muss nicht die gesamte Belegschaft über alles informiert sein (spart viele Sitzungen ein). Mit dem Herkunftssystem (die Familie) und dem Begleitsystem (Behörden, Beistandschaften, PsychiaterInnen, etc.) wird immer und offen kommuniziert. Es finden vierteljährliche Standortbestimmungen statt, an denen sich unsere Institution über ihren Erfolg oder Misserfolg gegenüber den Eltern und den Finanzgebern rechtfertigen muss. Steuerzahlende finanzieren alle sozialen Institutionen und sollen wissen, was das genau kostet (öffentlich bekannte Vollkostenrechnung). Institutionen haben einen sozialen Auftrag und müssen diesen wirtschaftlich vertretbar umsetzen.

Es wird nicht über einen Zeithorizont, sondern über das Erreichen gesetzter Ziele gesprochen. Die Jugendlichen stehen in Eigenverantwortung und unter einem gewissen Erfolgsdruck, denn sie bestimmen die Dauer ihres Aufenthaltes mit (Eigenverantwortung). Dank kurzer Entscheidungswegen und flexibler Strukturen finanziert sich unser Projekt im Durchschnitt und im Vergleich mit Institutionen im selben Segment mit CHF 200.00 pro Tag günstiger und die Aufenthaltsdauer wird so kurz wie möglich gehalten.

Ich habe dies politischen Parteien und PolitikerInnen aus allen Richtungen versucht nahe zu bringen. Von „Gut dies zu wissen“ bis „es gibt halt noch zu wenig Menschen mit genügend Sachverstand“ bis zu „keiner Reaktion“, habe ich alles erfahren. Es wurde mir gesagt, dass nicht klar sei, ob dieses Thema im kantonalen oder im interkantonalen Interesse steht – am Ende immer wieder dasselbe – Stillschweigen – oder „Kein Interesse“! Oder ist es etwa ein heisses Eisen, wenn ein Mensch einmal wirklich Zivilcourage und Eigeninitiative zeigt? Diese beiden Worte fliessendoch wie flüssige Butter durch die Münder der PolitikerInnen. Oder ist das Heimwesen als solches ein heisses Eisen?

Erfahren habe ich, dass vor allem Projekte Erfolg haben, die von PolitikerInnen initiiert werden. So durfte ich z.B. von 1982 bis 1985 in Münchenbuchsee die Arbeitsgruppe „Projekt Jugendarbeit Münchenbuchsee“ präsidieren, nach erfolgreichem Vernehmlassungsverfahren und Bestätigung durch den Erziehungsdirektor einen Verein gründen und diesem weitere 12 Jahren in verschiedenen Funktionen (auch als Präsident) führen und begleiten.

In einem weiteren Projekt durfte ich als Präsident einer Arbeitsgruppe die drei Ortsvereine HGTV Münchenbuchsee, TV Zollikofen und HBC Moosseedorf zu einem Gesamtverein „Handball Grauholz“ zusammenführen, Gründen und Phasenweise auch führen und begleiten. Es gäbe noch über viele weitere zum Teil kleinere Projekte zu berichten.

Meine Erkenntnis: „Es ist weitaus einfacher einen Auftrag, für den man angefragt wird, auszuführen, als aus Eigeninitiative etwas ins Leben zu rufen.“

So stimmt doch, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Hätte ich eines meiner Projekte im fernen Ausland, in der dritten Welt, realisiert – dort wo die Not der Ärmsten grösser ist, …. – die Realität zeigt, dass da mehr Prestige und Spendengelder drin liegen!

Die Not der Menschen in unserer ersten Welt werden weitgehend ignoriert – oder haben Sie schon einmal etwas von der „ATD vierten Welt“ gehört? Von jener Organisation, deren Mitglied ich bin, die sich gerade für die notleidenden Menschen in der ersten Welt einsetzt? Es gibt auch einen Ableger in der Schweiz.

In unabsehbarer Zeit (sie hat schon begonnen), werden wir gezwungen sein, uns mit diesen Problemen „notgedrungen“ auseinanderzusetzen. Wenn die Themen „zunehmende, aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung geschaffene Randgruppen, obligatorische Arbeitszeit vs. Arbeitslosenzeit, staatlich gesichertes Grundeinkommen für alle, etc.“, endlich einmal ernst genommen werden, werden sich viele bestehende und neue Institutionen, PolitikerInnen, Parteien, etc. um „Marktanteile“ boomen und rangeln. Bis dahin muss es uns aber noch wesentlich schlechter gehen als heute. Alle, die sich bereits heute im Hintergrund, still und ausdauernd engagieren, werden in Vergessenheit geraten und ebenso still verschwinden. Ich mag zu bezweifeln, ob die „Neuen“ es dann besser machen, denn sie werden, wie die Geschichte zeigt, wieder von Macht, Markt und Finanzinteressen geprägt sein! Schade!!!!

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