Über ATD vierte Welt

Über ATD vierte Welt

28.10.2016 :: René H. Bartl

ATD vierte Welt setzt sich für Menschen in Armut in der ersten Welt ein. Ich bin Mitglied, weil dieses Thema in der ersten Welt, in der wir leben dürfen, massiv verdrängt wird.
Armut in der ersten Welt darf es offenbar gar nicht geben! Und doch gibt es sie!

Es erschreckt mich immer wieder, wenn ich sehe und höre, dass Menschen in der Schweiz weit unter dem Existenzminimum leben müssen. Vor allem alleinerziehenden Müttern bleibt oft nichts anderes, als der Weg zur Fürsorge. Vielen gibt es der Stolz nicht zu zur Fürsorge zu gehen und sie leiden sich, ihre Familie und ihre Kinder, durch ihr Leben.

Noch zu gross ist das Stigma - "arm gleich faul oder unfähig" (ein Stigma - griechisch στíγμα für Stich, Wundmal - ist eine unerwünschte Andersheit gegenüber dem, was wir erwartet hätten. Ein Stigma ist eine Verallgemeinerung einer spezifischen Handlung oder Eigenheit einer Person auf deren Gesamtcharakter).

Sicher gibt es Menschen, deren Lust auf Arbeit nicht allzu gross ist, die gibt es in allen Kulturen. Beim genauen Hinsehen erkennt man leicht, dass es auch dafür Gründe gibt. Weit überwiegend betrifft es Menschen aus intellektuellen, gesundheitlichen oder marktwirtschaftlichen Gründen. Wir werden uns an das Zusammenleben mit Menschen ohne Arbeit, mit Arbeit ohne existenzsicherndes Einkommen, mit Teilzeitarbeit, etc. gewöhnen müssen. Vor allem an Arbeit für Menschen mit weniger Schulbildung rationalisieren wir zusehends die Tätigkeitsfelder weg.

Neben den Menschen in der Grundschicht werden zunehmend auch die Mittelschicht und Menschen mit höherem Bildungsniveau betroffen sein. Viele Arbeitsstellen werden von der Technik und von Robotersystemen wegrationalisiert werden. Für mich ersichtlich ist, dass sich die Mittelschicht teilen wird. Während die Oberschicht ihre Vermögen weiterhin erweitern und die obere Mittelschicht sich eine lebenswerte Existenz erhalten kann, wird die untere Mittelschicht um ihre Existenz kämpfen müssen. Die Unterschicht wird kaum noch über eine Existenzgrundlage verfügen und sich von der Hand in den Mund ernähren. Bereits heute erkennen wir eine Zunahme der Beschaffungs- und Bandenkriminalität. Diese wird, zum Zwecke der Lebenserhaltung und der Bereicherung, weiterhin zunehmen, wenn wir nicht verstehen lernen, was die Grundlage dazu ist. Die aktuellen Erkentnisse sollten Anlass genug sein, um genauer hinzusehen, die Botschaften verstehen zu lernen und adäquat zu handeln. Wer glaubt, dass mit Gewalt und immer höheren Strafen das Problem bewältigt bwerden kann irrt, es müssen neue und adäquate Wege gesucht und konsequent umgesetzt werden.

Ich bin davon überzeugt, dass wir das bedingungslose Grundeinkommen noch erleben werden. Wer sich darüber auslässt, dass das nur die Faulheit im Menschen fördert und nicht finanzierbar ist, sollte sich mal die aktuelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation vor Augen führen. Da werden immer wieder Sätze nachgeplappert, die unser selbständiges Denken in Frage stellen.

Die Argumentation, dass damit mehr freie Zeit zur Verwirklichung eigener Träume zur Verfügung steht, ist nur bedingt richtig. Zudem stellt sich die Frage, ob das biksherige Leistungsdenken, die stete Gewinnmaximierung und ein Karrierestreben für alle Menschen gelten sollen. Die aktuelle gesellschftliche Entwicklung weist eher daraufhin, dass vermehrt nach Lebensqualität, Familienzeit und Erholungszeit gesehnt wird. Wenn wir diese Entwicklung ignorieren, wird es viel mehr Menschen haben, die (in einer längeren Übergangsphase) mit der aktuellen Situation nicht fertig werden. Depressionen, Alkohol- und andere Suchtkrankheiten, die Kriminalität, etc. werden zunehmen, wenn wir nicht zuvor etwas unternehmen.

So lange sich unsere Gesellschaft über die Arbeit definiert, ist das Ausscheiden aus einem Arbeitsprozess und ein leben ohne geregelte Tagesstruktur verpönt ist, bleibt ein Weg in die Einsamkeit und damit in die Krankheit. Die Suizidrate in der Schweiz  betrug 2023 - 1'005 Menschen. Zwar ist sie abnehmend, in Bezug auf die Jugendlichen (18- bis 23-jährig) aber Besorgnis erregend.

Wenn wir zusammenzählen, wieviel Geld wir in die Fürsorge und in die Arbeitslosigkeit investieren, sind ein Drittel der Beiträge des bedingungslose Grundeinkommens bereits finanziert. Dazu kommt, dass alle Arbeitgeber-innen den Anteil ihrer Arbeitnehmer-innen dem Staat rückfinanzieren müssen. Bleibt noch ein Rest, den wir bei der Krankenkasse, bei der Kriminalität, bei Vandalen Akten, etc. teilweise einsparen können. Neu finanziert werden muss nur noch ein relativ kleiner Teil.

Die Argumentation betreffend einer aufwendigen Administration ist beim derzeitigen Stand der Computertechnik geradezu unglaubwürdig.

Wir müssen lernen, dass es neben Arbeiten auch noch andere Lebensqualitäten gibt, die uns zu grosser Zufriedenheit verhelfen können. Ein Leben in Armut ist schwer erträglich und es kann jede und jeden treffen. Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen. Dann werden wir uns beklagen, dass unser System dieses Problem nicht lösen kann. Privilegiert sein bedeutet wach und hilfsbereit sein!

Die Organisation ATD vierte Welt ist darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen Mitglieder werden. Damit könnte ihr Bekanntheitsgrad erweitert werden. Ich empfehle einen Beitritt sehr.

In Zukunft wird diese Organisation noch wichtiger werden. Durch die raschen technischen Fortschritte (Computergesteuerte künstliche Intelligenzen - KI) wird der Arbeitsmarkt zunehmend unsicherer. Menschen aller Gesellschaftsschichten werden Arbeitsplätze verlieren, die nicht ersetzt werden können. Am schlimmsten wird es Menschen mit weniger Bildung und/oder weniger Flexibilität gehen. Computer und künstliche Intelligenz (KI) werden die Menschen nie ganz ersetzen. Der Ehrgeiz der Wissenschaft, der Forschung und der gewinnorientierten Unternehmen werden deren Einsatzmöglichkeiten immer zu Erweitern suchen. Geld, Gier, Macht und Egoismus sind Antriebe, denen der Mensch immer schon ausgeliefert war. Daran wird sich noch lange nichts ändern. Blind laufen wir in eine nächste Katastrophe. Was wird es sein? Wird es wieder einen Aufstand des Proletariats werden?

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